Liebe Ukraine-Interessierte,
zuerst wieder eine herzliche Einladung zu unserem nächsten Runden Tisch Ukraine, der wieder online stattfindet am Freitag, den 28.05. um 18.30 Uhr. Diesmal wollen wir einen Film präsentieren, der 2020 als gemeinsames Projekt der Mediengruppe Franken in Nürnberg und der Mediagruppe Nakipelo in Charkiw zum Thema "Leben in der Partnerstadt in der Pandemie" entstand. Das Projekt eines medialen Austausches, das sich in eine Zusammenarbeit an einem Film verwandelte, wurde vom Nürnberger Haus in Charkiw mit Förderung des Goethe-Instituts und des Amts für Internationale Beziehungen der Stadt NÜrnberg initiiert.
Bei unserer Veranstaltung sind auch Dozentinnen und Kursteilnehmer/innen des Nürnberger Hauses zugegen, so dass man im Anschluss an die Filmpräsentation darüber gemeinsam diskutieren kann.
Unser letzter digitaler Runder Tisch Ukraine am 19.04. 21 zum Thema "Mediation als Beitrag zur Konfliktlösung in der Ukraine" war wieder gut besucht. Der hochrangige Referent General a.D. Reiner Schwalb, jahrelanger Militärattache der Deutschen Botschaft in Moskau, berichtete über ein trilaterales Mediationsprojekt, an dem er 2019 aktiv teilnahm, Dabei wurden die unterschiedlichen Narrative von ukrainischer, russischer und deutscher Seite erkundet, um gegenseitiges Verständnis zu verbessern. Es sei ein sehr aufschlussreiches, lohnendes Projekt gewesen aber auch ein äußerst schwieriger Prozeß. Im zweiten Teil gab der Referent ein differenziertes Urteil ab über den gewaltigen Truppenaufmarsch russischer Verbände mit entsprechendem militärischen Waffen nahe der ukrainischen Grenze und auf der annektierten Krim. Er warb dafür alle diplomatischen Möglichkeiten auszuschöpfen und sah in Russlands Vorgehen eher "ein gigantisches Säbelrasseln". Genaueres dazu im angehängten Artikel aus den Nürnberger Zeitungen.
- Bedrohlichere und erschreckendere Analysen gibt es allerdings auch trotz des russischen Truppenabzugs, der am 22.04. verkündet wurde. So ist nicht klar, ob Russland auch sein militärisches Gerät abgezogen hat und viele Spezialisten deuten das "Säbelrasseln" als eine Generalprobe für eine echte Invasion. Zusätzlich hat Russland gleichzeitig mit dem verkündeten Truppenabzug seine Kontrolle über Teile des Schwarzen Meers erweitert und 3 Seebezirke bis Oktober gesperrt, was vor allem die Passage von Kerch zum Asowschen Meer besonders betrifft. Wilfried Jilge weist in seinem Beitrag für den Deutschlandfunk darauf hin, dass gerade auf der Krim Landeboote und Landedivisionen sich befinden, die Landeoperationen für die ukrainische Südküste bei den Manövern geübt, vielleicht auch geplant haben. Die ganze ukrainische Wirtschaftsregion an der Küste des Schwarzen Meeres sei beeinträchtigt. Zusätzlich hätte Russland die ukrainische Gasplattform auf dem Meer in dieser Bucht appropriiert und stark militarisiert. Glen Grant meint, Putin hätte viele wichtige Ziele erreicht einschließlich der Blockade des Asowschen Meers, den weiteren Aufbau militärischer Präsenz, die Beobachtung des ukrainischen Militärs, die Einschüchterung der USA und die allgemeine Mobilmachung für den Krieg. Dazu folgende Links:
- Russiche Truppen an der ukrainisch-weißrussischen Grenze: Besorgniserregend ist auch, dass an der Grenze von Belarus zur Ukraine eine neue militärische russische Front entsteht, wo im Zuge der größeren Abhängigkeit von Belarus von Russland russische Truppen stationiert werden . https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/belarus-is-the-new-front-in-putins-war-against-ukraine/
- Tieferliegende Gründe für Russlands militärisches Vorgehen sind sicherlich das überragende Ziel Putins: "die Ukraine als "Wiege Russlands" wieder in den russischen Schoß heimzuholen. Liliya Schevtsova stellt die These auf, dass ukainische Staatlichkeit grundsätzlich im Gegensatz zur russischer Staatlichkeit stehe, die sich nur als Ganzes mit der inkorporierten Ukraine definiert.
Die letzten Schritte Selenskis gegen Medvedtschuk und die für Russlandf webenden Fernsehkanäle und seine stärkere Wendung nach Westen lösen deshalb besondere russische Wut aus.
https://www.kyivpost.com/article/opinion/op-ed/timothy-ash-putins-next-move.html
http://windowoneurasia2.blogspot.com/2021/04/foundations-of-russian-and-ukrainian.html
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/putins-saber-rattling-reflects-russian-rage-over-the-loss-of-ukraine/
- Reaktionen in der Ukraine: Die Ukraine richtet panische Appelle an Europa und die USA: Botschafter Andrij Melnik ruft nach militärischer Unterstützung; Selensky traf sich mit Macron und Merkel; Telefongespräch mit Biden. Die Türkei erweist sich als ein neuer Partner für die Ukraine, mit dem es umstandslos auch zu Verträgen zu gegenseitigen Lieferungen notwendiger militärischer Güter gekommen ist.
- Schwache Reaktionen in der EU: Nach Ansicht von Andreas Umland und Richard Herzling tut Europa zu wenig gegen die russische Bedrohung. Der Stopp vonNordstream 2 könnte ein wirksames Mittel zur Eindämmung der russischen Agression sein, wird aber nicht erwogen. Dabei bedroht die Fertigstellung nicht nur die geopolitische Balance und die Stabilität der Ukraine, sondern könnte auch ein ökologisches Desaster an der Ostseeküste verursachen. Darüber hinaus macht sich der Westen erpressbar.
- Wirtschaft und Infrastruktur Bei einem Webinar des Ost West Wirtschaftsforums Bayern e.V. zum Wirtschaftsstandort Ukraine war ich angenehm überrascht von der positiven Einschätzung der Referenten bezüglich der Entwicklung der Ukraine in den letzten Jahren und den Investionsmöglichkeiten. So wies Klaus Kessler von Rödl & Partner darauf hin, dass es seit 2014 ständige Verbesserungen der Bedingungen für ausländische Investoren gegeben habe. Die Infrastruktur und die gesetzlichen Rahmenbedingungen hätten sich erheblich verbessert, die Ukraine sei im Ranking "Doing Business" das 190 Länder umfasst, vom 140. Platz in 2012 auf den 64. Platz in 2020 aufgestiegen. Weitere Informationen dazu in der hervorragend informativen Präsentation im Anhang. Ebenfalls im Folgenden Links zu den Investitonsmöglichkeiten bei der Infrastruktur und im Zuge der Privatisierung:
https://www.kyivpost.com/business/seeing-investment-promise-in-ukraines-outdated-infrastructure.html
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/how-to-reform-ukrainian-railways/
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/ukraine-moves-closer-to-large-scale-privatization-breakthrough/
Negativ zu vermerken sind große Verluste beim Konzern Naftogaz und die Entlassung des CEO Andriy Kobolyev, der den Rücktritt des Aufsichtsrats aus Protest nach sich zog.
https://www.kyivpost.com/business/naftogaz-loses-684-million-in-2020-blames-pandemic-regulation-debtors.html
https://www.kyivpost.com/business/naftogaz-ceo-andriy-kobolyev-fired-vitrenko-becomes-acting-head.html
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/dismissal-of-naftogaz-ceo-raises-doubts-over-ukraines-corporate-governance-reforms/
https://www.kyivpost.com/business/naftogaz-supervisory-board-resigns-en-masse-government-asks-them-to-stay.html
Schlimm ist auch, dass die Ukraine 7 Billionen Dollar pro Jahr durch Steuerhinterziehung verliert.
https://www.kyivpost.com/business/country-loses-7-7-billion-to-tax-evasion-each-year.html
- Korruption und Antikorruptionsstrategien
Der Kampf gegen Korruption ist mühsam und wird ständig behindert, aber er geht doch weiter. NABU hat ein Strategiepapier dazu verfasst für die Jahre 2020-2024.
https://nazk.gov.ua/wp-content/uploads/2021/01/Ukraine-Anti-Corruption-Strategy-for-2020-2024.pdf
Angesichts der hohen Erwartungen der Ukrainer selber und des Auslands auf schnelle REformen werden Erfolge zu wenig beachtet. NABU hat jedoch bereits 300 Fälle zu Gericht gebracht und 50 Verurteilungen erreicht. WEitere 800 Untersuchungen sind anhängig, und 3 hochrangige Manager der Privatbank wurden wegen Unterschlagung verklagt. Das Anti-Korruptionsgericht hat immerhin in 48 Fällen Verurteilungen ausgesprochen und hohe Kautionssummen festgelegt. Vor allem aber sind die elektronischen Steuererklärungen und das ProZorro System die wichtigsten Schritte zur Sicherung von Transparenz. Und Selensky hat nicht nur versprochen, die Macht der Oligarchen einzuschränken, sondern auch erste Schritte dazu unternommen.
https://eurasianet.org/ukraines-anti-corruption-effort-struggles-but-soldiers-on
https://www.kyivpost.com/article/opinion/op-ed/tetiana-shevchuk-weekly-anti-corruption-update-in-ukraine-10.html
https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/the-other-war-is-zelensky-willing-able-to-tame-ukraines-oligarchs.html
https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/anti-corruption-court-better-than-others-but-still-not-good-enough.html
Auf der anderen Seite gibt es natürlich mächtigen Widerstand, besonders von den Oligarchen Firtash und Achmetov. Auch der skandalöse Richter Vovk ist zwar an ein anderes Gericht versetzt worden, kann aber immer straf- und gesetzlos agieren und wird von anderen Richtern gedeckt.
https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/zelensky-russian-propaganda-financial-groups-plundering-ukraine-hinder-reforms.html
https://www.kyivpost.com/article/opinion/op-ed/sergii-leshchenko-firtash-should-be-next-oligarch-ukrainian-leadership-takes-on.html
https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/ukraines-most-scandalous-judge-vovk-may-be-transferred-to-new-court.html
- Chornobyl 35 Jahre nach der Reaktorkatastrophe blickt dieser Artikel nicht nur zurück, sondern beschreibt, wie es jetzt ausschaut und wie die ukrainischen REgierung, dort nicht nur ein Museum errichten will, sondern auch anstrebt, die Gegend touristisch zu vermarkten. https://www.euronews.com/2021/04/25/35-years-since-its-nuclear-disaster-chernobyl-prepares-for-a-tourism-boom
- Belarus
Leider hat die brutale Repression erst einmal gesiegt, und die Menschen haben so viel Angst, dass kaum mehr Demonstrationen stattfinden. Der Protest ist dem inneren Widerstand gewichen. Es gibt lange Haftstrafen für Teenager, Opfer-Täter-Umkehr und absurde Gerichtsverfahren: Bei der Niederschlagung der Protestbewegung in Weißrussland kennt das Regime von Alexander Lukaschenko kaum noch Grenzen.
https://www.nzz.ch/international/weissrussland-repression-statt-protest-am-tag-der-freiheit-ld.1608625
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/belarus-proteste-217.html
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/europa/2100411-Kafka-in-Minsk-Lukaschenkos-Saeuberungen.htm
Gleichzeitig gerät Belarus immer stärker unter russischen Einfluss, in den Bereichen MIlitär, Sicherheit, Wirtschaft, Energie und Verwaltung strebt man eine vertiefte Integration an; die Präsenz russischer Truppen, vor allem an der ukrainischen Grenze ist verstärkt worden.
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/soft-annexation-inside-the-russian-takeover-of-belarus/
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/bizarre-belarus-coup-plot-has-all-the-hallmarks-of-a-classic-kremlin-drama/
https://ukraineworld.org/articles/infowatch/belarus-watch-briefing-issue-2
Lukaschenkas Behauptung, es sei ein Attentat auf ihn geplant worden und seine eine Woche später folgenden Überlegungen zu seiner Nachfolge, die letztlich auf seinen Sohn hinauslaufen, werden von Bryan Whitmore so gedeutet, dass er sich entweder dem Druck Russlands mit einem Hakenschlag entziehen will oder die Grundlage für die endgültige Eingemeindung in die russische Föderation legt. https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/lukashenkas-succession-gambit-kremlin-capitulation-or-power-play/
Positives: Exgeheimdienstler von Belarus wenden sich gegen Lukaschenka und machen mit bei kleineren Aktionen, die immer noch stattfinden. Und: Der Lew Kopelew Preis für Frieden und Menschenrechte 2020 wurde Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo verliehen.
https://www.deutschlandfunk.de/die-gruppe-bypol-in-belarus-ex-geheimdienstler-wenden-sich.795.de.html?dram%3Aarticle_id=495370
https://www.kopelew-forum.de/aktuelles.aspx Preisverleihung
Seltsames: Die USA hat Julie Fischer zur Botschafterin für Belarus ernannt, der Posten war seit 2008 vakant. Sie wartet noch auf ein Visum und hofft es über Verbindungen in Warschau oder Vilnius zu bekommen und will sich dort auch mit Swetlana Tichanowskaja treffen. Eine ziemlich heikle Angelegenheit, da die USA eigentlich die Wahl Lukaschenkas nicht anerkennt, die Lukaschenka Regierung ihre Akkreditierung jecoh anerkennen müsste. Jedoch gibt es die Meinung, dass Minsk eventuell darüber sich bemüht, die Beziehungen mit dem Westen wieder zu verbessern.
https://www.npr.org/2021/04/16/988200851/julie-fisher-first-u-s-ambassador-to-belarus-since-2008-awaits-travel-to-minsk?t=1619397293422&t=1619859944742
https://jamestown.org/program/minsk-is-trying-to-unfreeze-relations-with-west-ukraine/
Ich wünsche Ihnen und uns nicht nur einen frühlingshaften, sondern einen friedlichen und immer Pandemie-freieren Mai!
Beste GRüße
Antje Rempe