Am «Tag der Freiheit» in Weissrussland regt sich der Protest nur zaghaft

Die weissrussische Exilopposition wollte den symbolhaften Gedenktag zum Neustart des Aufbegehrens machen. Das Regime verhinderte dies – zumindest weitgehend.

Markus Ackeret, Moskau
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Die im Exil lebende weissrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja begeht den «Tag der Freiheit» im benachbarten Litauen – zusammen mit dem dortigen Aussenminister Gabrielius Landsbergis, und zwar auf einem Friedhof der Stadt Vilnius, wo auch weissrussische Persönlichkeiten begraben sind.

Die im Exil lebende weissrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja begeht den «Tag der Freiheit» im benachbarten Litauen – zusammen mit dem dortigen Aussenminister Gabrielius Landsbergis, und zwar auf einem Friedhof der Stadt Vilnius, wo auch weissrussische Persönlichkeiten begraben sind.

Zygimantas Gedvila / Imago

Zehntausende waren in den vergangenen Jahren am 25. März in Minsk zusammengekommen, um den «Tag der Freiheit» zu feiern. Er geht auf die Ausrufung der kurzlebigen weissrussischen Unabhängigkeit 1918 zurück. Die weiss-rot-weissen Fahnen dominierten jeweils das Bild. In diesem Jahr ist angesichts des nicht abbrechenden Volksprotests gegen den immer brutaleren Polizeistaat die Symbolik dieses Tages um ein Vielfaches grösser. Gerade deshalb hat die weissrussische Führung alles unternommen, um Feierlichkeiten und Demonstrationen zu dem Datum zu verhindern.

Minsk im Belagerungszustand

Der Versuch der Opposition um die im Exil lebende Widersacherin des Diktators Alexander Lukaschenko bei der Präsidentschaftswahl, Swetlana Tichanowskaja, mit dem «Tag der Freiheit» eine neue Saison der Strassenproteste einzuläuten, scheiterte an der Repression. Kundgebungen wurden verboten, stattdessen fuhren im Laufe des Donnerstags Polizei- und Armeefahrzeuge in der Hauptstadt Minsk auf. Nur vereinzelt fanden sich kleinere Gruppen zu Protest-Spaziergängen zusammen. Als sich das in den vergangenen Tagen abzuzeichnen begann, verschoben die über einflussreiche Telegram-Kanäle operierenden Organisatoren im Exil den grossen Protest auf diesen Samstag.

Die Menschenrechtsorganisation Wjasna meldete seit dem Vortag aus dem ganzen Land eine grosse Zahl an Festnahmen, unter anderem von Aktivisten und Journalisten, aber auch von Passanten mit weiss-rot-weisser Symbolik an der Kleidung. In den vergangenen Tagen hatten die Behörden vor «Provokationen» und «Terroranschlägen» gewarnt. Juri Gubarewitsch vom Koordinationsrat der weissrussischen Opposition sagte in einem Interview, das Regime führe einen vollumfänglichen Krieg gegen das eigene Volk.

Die Einschüchterung wirkt

Die eigentlich nach wie vor protestbereiten Teile der Bevölkerung sind angesichts der umfassenden staatlichen Repression eingeschüchtert. Nicht nur werden konsequent Personen abgeführt, die sich der Sympathie für die Opposition verdächtig machen, sie werden auch härter als noch zu Beginn der Proteste bestraft. Täglich gibt es aus dem ganzen Land Berichte über Gerichtsverfahren gegen Festgenommene, die sich nach gängigem Rechtsverständnis nichts hatten zuschulden kommen lassen, aber vom Regime als Aufrührer präsentiert werden. Die Opposition spricht von über hundert Verfahren pro Monat, eine Zahl, die auch im Vergleich mit repressiven Phasen der späten Sowjetzeit präzedenzlos ist.

Dass dies zu grosser Vorsicht führt, räumt auch die Opposition ein. Ihre Vertreter hatten in den vergangenen Tagen deshalb die Erwartungen an eine mit dem «Tag der Freiheit» neu aufbrechende Protestwelle stark gedämpft. Die Proteste sind zwar nicht versiegt; der Durchhaltewillen zahlreicher Bürger war in den vergangenen Monaten auch bei unwirtlichen klimatischen Verhältnissen bemerkenswert. Anstelle der sonntäglichen Grosskundgebungen und der Umzüge einzelner Personengruppen – wie Frauen oder Rentner – löste sich der Protest in kleinste Einheiten in einzelnen Stadtteilen auf.

Die Gesellschaft ist stark politisiert worden, wie auch eine neue, auf Umfragen beruhende Veröffentlichung des Berliner Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien belegt. Die politisch-ideologische Richtung steht dabei hinter dem Wunsch nach Selbstbestimmung und einer Verbesserung des Lebensstandards zurück.

Mut aus dem Exil

Die ins Exil oder faktisch in den Untergrund gedrängten Regimegegner müssen gegen den Eindruck ankämpfen, sie hätten im Ringen mit dem Staatsapparat definitiv den Kürzeren gezogen. In Videobotschaften rufen Tichanowskaja und der ebenfalls sehr umtriebige frühere Diplomat und Kulturminister Pawel Latuschko der Bevölkerung immer wieder in Erinnerung, wie viel die Protestbewegung bereits erreicht habe und dass der Grad der Unterdrückung durch die Behörden ein Zeichen der Schwäche Lukaschenkos sei. Auf gemischte Resonanz stiess Tichanowskajas Initiative einer Online-Befragung über die Aufnahme von Verhandlungen mit Lukaschenko. Auch manche Unterstützer sehen darin Defaitismus. Tatsächlich ist das Szenario schwer vorstellbar.

Die Oppositionsvertreter haben Fachleute um sich geschart und arbeiten an Reformen für die Zeit nach einem Machtwechsel, etwa der Neuordnung der Sicherheitsorgane. Zugleich versuchen sie das Ausland zu weitreichenderen Sanktionen zu bewegen, die den finanziellen Spielraum des Regimes einschränken sollen. Das soll dieses in eine Lage versetzen, in der nur noch ein Zugehen auf die Opposition möglich ist. Latuschko und Tichanowskaja verbreiten die Überzeugung, der Frühling werde die Entscheidung bringen – und Lukaschenko zum Rückzug zwingen. Noch hat dieser aber genügend Ressourcen, um sich an der Macht zu halten.