Mittwoch, 24. April 2024

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Die Gruppe Bypol in Belarus
Ex-Geheimdienstler wenden sich gegen Lukaschenko

Die großen Demos gegen den belarussischen Autokraten Lukaschenko haben zwar aufgehört. Doch die Regimegegner halten den Druck auf die Staatsmacht aufrecht – mit kleineren Aktionen. Dabei spielen auch Ex-Mitarbeiter der Sicherheitsorgane eine Rolle, die mit Lukaschenko gebrochen haben.

Von Florian Kellermann | 08.04.2021
Polizeikräfte marschieren in Reih und Glied.
Auch im Sicherheitsapparat ist in den vergangenen Monaten der Zweifel an Machthaber Lukaschenko gewachsen (imago)
Für Alexander Lukaschenko sind die Sicherheitsorgane die Säulen seiner Macht. Während der Proteste wurden Demonstrantinnen und Demonstranten zu Tausenden verhaftet und verurteilt, viele von ihnen in den Gefängnissen gefoltert.
Die Repressionen seien beispiellos, sagt Vadim Mojeiko, Analyst beim Institut für strategische Forschungen "BISS" in Minsk:
"Im vergangenen halben Jahr gab es in Belarus mehr Opfer von staatlicher Gewalt als beim Prager Frühling 1968 oder in den zehn Jahren Solidarnosc-Bewegung in Polen in den 1980er Jahren. Solche Repressionen hat es in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben. Unter solchen Umständen ist es klar, dass öffentliche Proteste nicht mehr so möglich sind wie im vergangenen Jahr."
Doch auch im Sicherheitsapparat ist in den vergangenen Monaten der Zweifel an Machthaber Lukaschenko gewachsen. Das zeigen die Erfolge einer Gruppe mit dem Namen "Bypol", eine Organisation von ehemaligen Mitarbeitern bei Polizei, Geheimdienst und Militär, die sich gegen Lukaschenko gewandt haben.

"Legt die Waffen nieder!"

Ihre offiziellen Mitglieder, einige Dutzend, befinden sich im Ausland. Von dort wenden sie sich an die aktiven Kolleginnen und Kollegen. Bekannte Persönlichkeiten helfen ihnen dabei, so Sergej Skiba, neunmaliger Weltmeister im Kickboxen, der selbst Polizisten trainiert hat. In einem Videoclip sagte er:
"Wir wollen keinen Krieg. Und wir sind keine Extremisten, wie sie euch glauben machen wollen. Wir haben genug von der Gewalt, der Erniedrigung und der Repressionen. Ihr könnt eurer Nation noch helfen, und vor allem euch selbst. Legt die Waffen nieder, geht den ersten Schritt, der zweite wird schon leichter sein."
Solche Aufrufe kommen immer besser an, das zeigen die Erfolge von Bypol. Die Gruppe wurde im vergangenen Jahr gegründet, nun veröffentlicht sie immer öfter sensible Informationen sowie Ton- und Bildmaterial, direkt aus dem Sicherheitsapparats.
Ein Video zeigt, wie von der Polizei Festgenommene knien müssen, wie sie bei der Befragung gefoltert und erniedrigt werden. Andere Aufnahmen geben Hinweise darauf, wie es zum Tod eines Protestteilnehmers im vergangenen August kam. Bypol nannte auch die Namen von Geheimdienstmitarbeitern, die sich als Provokateure unter Demonstranten gemischt haben sollen.
Und es stiftet Unruhe in der Armee. So berichtete es Anfang Februar, dass Belarus ein Kontingent von 600 Soldaten nach Syrien entsenden wolle, zur Unterstützung des dortigen Machthabers Assad. Darauf hätten viele Soldaten den Dienst quittiert, heißt es im Telegram-Kanal der Organisation.
Das alles setze das Regime unter Druck, so der politische Analyst Mojeiko: "Bypol ist ein ernsthafter Schlag für das Bild, dass die Staatsmacht vom Sicherheitsapparat zeichnet. Sie stellt es so dar, als dieser Apparat monolithisch, verschworen, komplett auf der Seite von Lukaschenko. Aber solche regelmäßigen Veröffentlichungen beweisen, das das nicht stimmt. Allein, dass Bypol diese Legende widerlegt, stärkt den Glauben der Menschen, dass sie das Regime irgendwann besiegen können."

Das Lukaschenko-Regime nimmt die Gruppe ernst

Die Staatsmacht bestätigt indirekt, dass sie Bypol ernst nimmt. Das staatliche Fernsehen stellt die Organisation in langen Sendungen als extremistisch dar. Einen ehemaligen Soldaten, der mutmaßlich mit Bypol zusammenarbeitete, nahm die Polizei vor einigen Wochen fest. Lukaschenko selbst meldete sich zu Wort:
"Ein Kompliment an die Polizisten, die den Schurken aufgedeckt haben. Sie haben ihn erwischt, wie er bei einem Kindergarten eine Bombe in einen Mülleimer gelegt hat. Sie haben ihn dann verfolgt, bis in die Garnison. Stellen Sie sich nur vor, wie viele bei der Explosion gestorben wären."
Auf der Grundlage dieses angeblich geplanten Anschlags leitete die Staatsanwaltschaft auch gleich ein Verfahren gegen Swjetlana Tichanowskaja ein, die Anführerin der belarussischen Opposition. Sie sei an den Terrorplänen beteiligt gewesen. Tichanowskaja bezeichnete die Vorwürfe als frei erfunden.
Doch von der Staatsmacht ging damit ein deutliches Signal an die Angehörigen des Sicherheitsapparats: Wer mit Bypol kooperiert, muss mit schweren Vorwürfen rechnen. Die Beteiligung an einem Terroranschlag wird mit einer langjährigen Gefängnisstrafe geahndet.
Trotz der Erfolge von Bypol rechnet Beobachter Mojeiko nicht damit, dass in naher Zukunft viele Polizisten und Soldaten den Dienst quittieren werden. Die meisten hätten Angst vor Bestrafung und davor, keine andere Arbeit zu finden.