Selenski sorgt für ein Köpferollen im ukrainischen Sicherheitsapparat

Mit der Ernennung eines loyalen Innenministers und Umbesetzungen an der Militärspitze wie auch im Geheimdienst stärkt der ukrainische Präsident seine Position. Vor seiner baldigen Amerikareise kann Selenski damit zumindest symbolisch auf einen Neuanfang verweisen.

Paul Flückiger, Danzig
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Der einst als Fernsehkomiker ohne politische Erfahrung ins Präsidentenamt gewählte Wolodimir Selenski demonstriert immer stärker seine Eigenständigkeit.

Der einst als Fernsehkomiker ohne politische Erfahrung ins Präsidentenamt gewählte Wolodimir Selenski demonstriert immer stärker seine Eigenständigkeit.

Evgen Kotenko / Imago

Der ukrainische Staatspräsident Wolodimir Selenski hat aus heiterem Himmel seine Armeeführung und wichtige Geheimdienstchefs ausgewechselt. In der Nacht zum Donnerstag wurden der Wechsel des Oberbefehlshabers für den Abwehrkrieg in der Donbass-Region sowie ein Führungswechsel im Generalstab bekanntgegeben. General Alexander Pawljuk wurde neuer Kommandant der sogenannten «Operation der Vereinigten Kräfte» im Donbass. Dort halten die Kiewer Regierungstruppen eine rund 500 Kilometer lange Frontlinie gegen von Russland unterstützte Separatisten.

Ein paar Tage zuvor hatte Selenski bereits den Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Ruslan Chomtschak, abberufen und durch Waleri Saluschni ersetzt. Der bisherige Oberbefehlshaber wurde am Donnerstag indes als Stellvertreter in den wichtigen Rat für nationale Sicherheit und Verteidigung delegiert. Dies deutet darauf hin, dass es Selenski eher um Symbolpolitik denn um Säuberungen in der Armeeführung geht.

Pochen auf Armeereform

Selenski betonte am Donnerstag, dass sich künftig alle Kommandanten stärker auf die Modernisierung der Armee und die Ausbildung von Soldaten konzentrieren müssten. «Derzeit findet in der Welt eine schnelle Transformation der Kriegsführung statt. Unser Militär soll unter allen Bedingungen bereit sein», sagte der Staatspräsident.

In Kiew war in den letzten Wochen über wachsende Unstimmigkeiten zwischen dem Verteidigungsminister Andrei Taran und der Armeeführung spekuliert worden. Mitte Juli hatte ein längeres Treffen zwischen dem ehemaligen Berufsmilitär Taran und einem hochrangigen Vertreter des amerikanischen Aussenministeriums, George Kent, stattgefunden, das der Vorbereitung von Selenskis Besuch im Weissen Haus Ende August und der Aushandlung neuer Militärabkommen dienen sollte. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass Selenski der Administration von Joe Biden einen Neuanfang signalisieren will.

In dieses Bild passt auch der plötzliche Rücktritt des mächtigen ukrainischen Innenministers Arsen Awakow vor zwei Wochen. Awakow galt als unverrückbare Schlüsselfigur aller Regierungen in der Ukraine seit der Maidan-Revolution vom Februar 2014. Der Geschäftsmann aus Charkiw hatte unter vier verschiedenen Ministerpräsidenten amtiert. Präsident Selenski übernahm Awakow anfangs «vorübergehend» von seinem Vorgänger Petro Poroschenko, behielt ihn dann aber trotz wachsender Kritik von der Strasse und von Anti-Korruptions-Aktivisten auch beim Regierungswechsel vom Frühling 2020 im Amt.

Nun dankte Awakow kleinlaut ab und wurde von der Werchowna Rada, dem ukrainischen Einkammerparlament, auf Antrag Selenskis durch seinen Stellvertreter Denis Monastirski von der Präsidentenpartei Diener des Volkes ersetzt. Selenski erwarte nun «mehr Transparenz und Zuverlässigkeit», hiess es im Präsidentenpalast. Awakow habe in einer schwierigen Zeit für die Ukraine viele wichtige Reformen eingeleitet, aber diese müssten nun beschleunigt werden, hiess es. Da dem Innenminister die Polizeikräfte und die Nationalgarde unterstehen, handelt es sich um eine der wichtigsten Machtpositionen im Land.

Monastirski dürfte eher auf Selenskis Wünsche reagieren als der unabhängige Awakow. Reformkräfte in der Zivilgesellschaft zeigten sich insgesamt optimistisch über den Wechsel. Politische Beobachter in Kiew sehen Awakows Rücktritt vor allem als Hinweis auf eine Stärkung und Emanzipation des ehemaligen Fernsehkomikers Selenski, der vor gut zwei Jahren als politischer Neuling zum Präsidenten eines Landes im Kriegszustand aufgestiegen war.

Kontrolle über Geheimdienst

Das Bild eines im Moment erst symbolischen Reformschubs rundet eine Serie von Umbesetzungen im vielkritisierten Geheimdienst SBU ab. Auch dort hat Selenski kürzlich mehrere Chefbeamte auswechseln lassen. Erneut begründete er die Personenwechsel mit «Transformationen», auf die man besser vorbereitet sein müsse. Der Staatschef verwies auf das neue Geheimdienstgesetz, das bald von der Werchowna Rada verabschiedet werden soll. Es soll den mächtigen und fast als Staat im Staat auftretenden SBU unter anderem einer grösseren zivilen Kontrolle unterstellen.

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