Der «Agent des Kremls» in der Ukraine sitzt jetzt im Hausarrest

Der Oppositionspolitiker und Magnat Wiktor Medwedtschuk wird des Hochverrats bezichtigt. Russland, zu dessen Präsidenten Putin er beste Beziehungen unterhält, reagiert empört. Neue Spannungen sind programmiert.

Markus Ackeret, Moskau
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Wiktor Medwedtschuk nimmt am 13. Mai an einer Gerichtsverhandlung teil: Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihm Hochverrat und versuchten Diebstahl staatlicher Ressourcen auf der Krim vor.

Wiktor Medwedtschuk nimmt am 13. Mai an einer Gerichtsverhandlung teil: Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihm Hochverrat und versuchten Diebstahl staatlicher Ressourcen auf der Krim vor.

Serhii Nuzhnenko / Reuters

Bis vor wenigen Monaten konnte Wiktor Medwedtschuk dank einem besonderen Arrangement in einem Privatflugzeug trotz sonst verbotenen Direktflügen ungehindert von Kiew nach Moskau fliegen. Auf Medwedtschuks politische Dienste hatte der frühere ukrainische Präsident Petro Poroschenko nicht verzichten wollen, obwohl der Oppositionspolitiker und Magnat die Rolle des Emissärs von Russland in der Ukraine einnahm. Er ist mit dem Kremlchef Wladimir Putin befreundet.

Präsident Wolodimir Selenski dagegen liess unlängst die geschäftliche Tätigkeit Medwedtschuks und von dessen Geschäftspartner Taras Kosak mit Sanktionen belegen. Und seit Donnerstagabend sitzt Medwedtschuk im Hausarrest: Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihm und dem flüchtigen Kosak Hochverrat und versuchten Diebstahl staatlicher Ressourcen auf der Krim vor. Das durchaus politisch motivierte Vorgehen ist von innenpolitischer Bedeutung für die Ukraine und zugleich wegen Medwedtschuks Nähe zu Russland von aussenpolitischer Brisanz.

Selenskis «Ent-Oligarchisierung»

Die harschen Vorwürfe gegen Medwedtschuk, einen der reichsten Ukrainer, begründen die Generalstaatsanwältin Irina Wenediktowa und der Geheimdienstchef Iwan Bakanow mit drei Vorgängen: Erstens soll er zusammen mit Kosak ein Erdgasfeld im Asowschen Meer in russische Jurisdiktion übergeführt und so dem «Aggressor-Staat» im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim geholfen haben. Zweitens werfen sie ihm vor, geheime Angaben über ukrainische Truppenstationierungen weitergeleitet zu haben. Und drittens soll er an einem Desinformationsprojekt beteiligt gewesen sein: Ukrainische Gastarbeiter sollten dabei in Russland zu Propagandisten ausgebildet werden und nach ihrer Rückkehr in diesem Sinne tätig sein.

Selenski selbst verhehlte am Freitag in einer Kolumne nicht, worum es ihm eigentlich geht: um die bereits im Wahlkampf versprochene «Ent-Oligarchisierung» der ukrainischen Gesellschaft und Politik. Die Strafverfolgung gegen Medwedtschuk bedeute «minus ein Oligarch», schrieb er. So werde es weitergehen. Seit Selenskis Amtsantritt wartet die Öffentlichkeit auf konkrete Schritte gegen das Netzwerk aus Korruption und Vetternwirtschaft zwischen Politik und Unternehmern.

Die langen Arme des Kremls

Der Fall Medwedtschuks geht aber über das Vorgehen gegen andere Wirtschaftsmagnaten hinaus. Zum einen ist Medwedtschuk seit Jahren ein einflussreicher politischer Drahtzieher, der, wie der Politologe Konstantin Skorkin schreibt, stark von Rache getrieben ist. Im Zuge der «orangen Revolution» 2004 verlor er seinen Einfluss ebenso wie zehn Jahre später durch die Revolution auf dem Maidan. Er ist einer der Anführer der zweitstärksten Partei im Parlament (Oppositionsplattform – Für das Leben) und streitet mit Selenski um die Wähler im Südosten der Ukraine, die eine stärkere Affinität zu Russland haben als jene im Westen des Landes. Mit Klagen vor dem Verfassungsgericht versuchte er zudem, wesentliche politische Erfolge Selenskis zu hintertreiben.

Zum andern aber wird kein anderer ukrainischer Politiker so sehr als «trojanisches Pferd» des Kremls wahrgenommen wie Medwedtschuk; Putin soll der Taufpate von dessen Tochter sein. Das wird von manchen Exponenten der Oppositionsplattform auch als Hypothek empfunden. Medwedtschuks Fernsehkanäle, die Selenski im Februar schliessen liess, agitierten in den Augen der Regierung nicht bloss gegen den Präsidenten, sondern dienten direkt der russischen Einflussnahme. Selenski wiederum geht das Risiko des Vorwurfs ein, er entledige sich innenpolitischer Konkurrenz mittels zweifelhafter Verfahren.

Harsch reagierten daher hochrangige russische Politiker und Funktionäre auf die Anschuldigungen und den Hausarrest ihres ukrainischen Vertrauten. Der Vorsitzende der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, beschrieb die Ukraine als Diktatur, die oppositionelle Medien verbiete, und forderte den Europarat auf, sich einzumischen. Aus dem Mund eines russischen Politikers klingt das angesichts der Verhältnisse im eigenen Land fast grotesk.

Das Vorgehen gegen Medwedtschuk erzürnt Moskau seit Monaten und dürfte den Kreml darin bestärkt haben, mit dem riesigen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine Druck auf das Nachbarland aufzubauen. Weltpolitisch, gegenüber den USA vor allem, schien die Machtdemonstration vorläufig die angestrebten Ziele erreicht zu haben, weshalb sie Ende April wieder reduziert wurde. Die jüngsten Schritte gegen Moskaus Statthalter in der ukrainischen Politik dürfte Russland aber zu einem passenden Zeitpunkt mit neuen Massnahmen beantworten.

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