Ukraine:Machtkampf in der Ukraine

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Riesenschädel vor einem Straßencafé in Kiew: Die Bevölkerung hofft auf bessere Zeiten. (Foto: SERGEI SUPINSKY/AFP)

In dem osteuropäischen Land ist der Widerstand gegen Reformen groß. Deshalb blockiert der IWF bereits zugesagte Milliardenkredite - ob das hilft?

Von Florian Hassel, Belgrad

Werden Reformer und internationale Kreditgeber nach Erfolgen in der Ukraine gefragt, lautet die Antwort unweigerlich: die Gründung der Antikorruptionsbehörde Nabu. Sie war 2014 nach massivem internationalem Druck als Instrument geschaffen worden, um Korruption hoher und höchster ukrainischer Staatsdiener aufzudecken. Allerdings führten Nabu-Ermittlungen bisher kaum je dazu, dass korrupte Beamte tatsächlich hinter Gittern landeten.

Zäh ist der Widerstand anderer unreformierter Behörden: der Generalstaatsanwaltschaft, des Geheimdienstes SBU oder der notorisch korrupten Gerichte. Nabu-Chef Artjom Sitnik ließ sich nicht entmutigen: Anfang 2021 leitete er eine Ermittlung wegen mutmaßlicher Unterschlagung beim Kauf von Impfstoffen gegen Covid-19 ein. Und gegen Oleg Tatarow, Vize-Chef der Verwaltung von Präsident Wolodimir Selenskij, ermittelt die Nabu wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit. Der 2019 als angeblicher Reformer angetretene Selenskij reagierte so wie andere Präsidenten vor ihm: Er ließ die Regierung einen Gesetzentwurf ausarbeiten, um Nabu-Chef Sitnik zu feuern und den nächsten Chef in einem von ihm selbst kontrollierten Verfahren zu bestimmen.

Der Plan, sich die Nabu zu unterstellen, kam, während Selenskijs Mitarbeiter mit Spezialisten des Internationalen Währungsfonds (IWF) über die Freigabe von Milliardenkrediten verhandelten. Im Juli 2020 erklärte sich der IWF bereit, der Ukraine rund fünf Milliarden Dollar zu leihen. An diesem Programm hängen nicht nur das Geld des IWF, sondern weitere 750 Millionen Dollar der Weltbank und 600 Millionen Dollar der EU. Viel Geld für die Ukraine, deren Staatshaushalt nur umgerechnet 47 Milliarden Dollar ausmacht.

Wolodimir Selenskij ist seit Mai 2019 Staatspräsident der Ukraine. Er versprach, gegen Korruption vorzugehen, doch bisher gibt es mehr Rück- als Fortschritte. (Foto: --/dpa)

Nachdem der IWF im Sommer 2020 zwei von fünf Milliarden Dollar überwies, sollten die nächsten Tranchen eigentlich bis Ende 2020 folgen. Doch davon ist nun keine Rede mehr: Nach sechs Wochen dauernden Marathongesprächen über mehr Haushaltsdisziplin, Reformen in der Justiz und Korruptionsbekämpfung, Energie und Banken erklärte der IWF am 13. Februar, es sei "mehr Fortschritt" notwendig, bevor Kiew auf weiteres Geld rechnen könne.

Statt Fort- gab es in Kiew zuletzt vor allem Rückschritt. Anfang Juli 2020 trat der Direktor der bis dahin weitgehend unabhängigen Zentralbank NBU nach "systematischem politischem Druck" Selenskijs zurück. Der neue Direktor feuerte allein in den ersten Wochen drei als unabhängig geltende Vize-Direktoren.

Auch beim Antikorruptionskampf ging es rückwärts: Beim diskreditierten Verfassungsgericht wurde gegen vier Richter einschließlich des Vorsitzenden wegen nicht erklärten Vermögens ermittelt. Als Antwort kassierte das Verfassungsgericht das entsprechende Gesetz kurzerhand als verfassungswidrig ein - und sicherte die umstrittenen Richter so vor möglichem Gefängnis. In der Folge mussten insgesamt 100 Ermittlungen oder Gerichtsverfahren gegen mutmaßlich korrupte hohe Staatsdiener eingestellt werden. Weitere Skandalurteile der diskreditierten Verfassungsrichter folgten. Und nicht nur das Verfassungsgericht ist unreformiert. Auch beim für die Auswahl oder Entlassung von Richtern zuständigen Hohen Justizrat gibt es "weiterhin ernsthafte Bedenken über die Integrität einiger Mitglieder", so die Venedig-Kommission des Europarates.

Im September werden besonders viele Schulden fällig

Der IWF habe schon lange verstanden, dass die Ukraine die Wirtschaft erst entwickeln und ihre Abhängigkeit von Krediten beenden könne, wenn sie das System umfassender Korruption zerstöre, sagte der Ökonom Gleb Wischlinskij, Direktor des Kiewer Zentrums für Wirtschaftsstrategie, dem Magazin Nowoje Wremja. Das aber wolle Selenskij ebenso wenig wie Vorgänger Petro Poroschenko. So wie sich Poroschenko bis zuletzt der dem IWF zugesagten Schaffung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichtes widersetzt habe und die Nabu kontrollieren wollte, wolle auch Selenskij die Nabu kontrollieren und die Justiz nicht säubern. Wie die Präsidenten vor ihm wolle auch die Selenkskij-Regierung "die Staatsanwälte, Gerichte und Sicherheitsdienste kontrollieren", stimmte Ökonom Anders Aslund zu.

Wie aber geht es weiter, nachdem der IWF den Geldhahn zugedreht hat? Der Finanzminister muss allein in diesem Jahr umgerechnet mehr als 23 Milliarden Dollar für den Schuldendienst auftreiben - 5,9 Milliarden Dollar allein für ausländische Geldgeber. Bis zum Herbst könne sich die Ukraine durchmogeln, stimmen Analysten überein. Ab September aber, wenn besonders viele Schulden fällig werden, steht Ex-Finanzminister Alexander Daniljuk zufolge "ein großes Fragezeichen" über der Ukraine.

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