Unerwartete Funkstille. Wie Selenskyj Putins Verbündeten Medwedtschuk zum Schweigen bringen will

Die Schließung von prorussischen Fernsehsendern in der Ukraine sorgt derzeit für Debatten. Ist sie eine längst überfällige Antwort auf die russische Propaganda oder ein Angriff auf die Pressefreiheit? In einem größeren Kontext ist sie wohl ein Kapitel im Kampf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gegen seinen politischen Rivalen, den prorussischen Politiker Wiktor Medwedtschuk.

Von Inga Pylypchuk

Anfang Februar 2021 sind drei Fernsehsender in der Ukraine für fünf Jahre gesperrt worden: Kanal 112, NewsOne und ZIK. Alle drei gehören formal dem Parlamentarier der prorussischen Partei „Oppositionelle Plattform – Für das Leben“ (OPSSch) Taras Kosak. Der Mann, der die Agenda der Sender jedoch tatsächlich bestimmt, heißt Wiktor Medwedtschuk. Er ist der wohl bekannteste prorussische Politiker der Ukraine, einer der Gründer von OPSSch und ein langjähriger Freund von Wladimir Putin. Der russische Präsident ist Patenonkel von Medwedtschuks Tochter Daria (geb. 2004).

Die Schließung von Sendern ist per Dekret des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erfolgt. Dieser Entscheidung war ein Beschluss des Nationalen Sicherheitsrats des Landes „Über die Anwendung personengebundener, besonderer wirtschaftlicher und anderer Restriktionen“ vorausgegangen. Sie richten sich gegen mehrere Medienunternehmen und gegen Taras Kosak persönlich. Kosak und Medwedtschuk gelten als langjährige Geschäftspartner. Die OPSSch-Partei drohte als Antwort auf die Schließung von Sendern ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten Selenskyj einzuleiten.

Laut der Pressesprecherin des Präsidenten seien die Sender blockiert worden, um die nationale Sicherheit der Ukraine zu schützen. In der Tat haben 112, NewsOne und ZIK seit Jahren Kreml-Botschaften in der Ukraine verbreitet und dabei die russische Aggression im Donbas legitimiert. Die Frage, ob Kosak persönlich allerdings in die Finanzierung von terroristischen Aktivitäten im Donbas verwickelt sei, wie Begründung der Sanktionen lautet, wird höchstwahrscheinlich noch die Gerichte beschäftigen.

Im März 2020 haben wir darüber berichtet, dass der Sender ZIK einen mehrstündigen Marathon zur Diskreditierung von George Soros und seiner International Renaissance Foundation (IRF) ausgestrahlt hatte. Dies geschah im Rahmen der antiwestlichen Diskreditierungskampagne des Senders. Im Zusammenhang mit dieser und anderen Sendungen wurde ZIK schon mehrmals vom Nationalen Rat für Fernsehen und Rundfunk geprüft, mehrere Verletzungen wurden festgestellt. Gegen alle drei Sender wurden in den letzten zwei Jahren wegen Manipulationen und Anstiftung zum Hass Geldstrafen (zwischen 3000 bis 9000 Euro) verhängt. Laut einer Umfrage der Meinungsforschungsgruppe „Rating“ vom 6.-8. Februar unterstützen 49 Prozent der Ukrainer*innen die Entscheidung, die Sender zu blockieren.

So hat es schließlich in der Ukraine kaum jemanden überrascht, dass die Sender nun tatsächlich sanktioniert wurden. Tetiana Pechonchyk, Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation ZMINA, die sich insbesondere für den Schutz der Meinungs- und Bewegungsfreiheit einsetzt, formuliert es so: „ZIK, NewsOne und 112 haben sehr wenig mit Meinungsfreiheit zu tun. Ich würde ihre Tätigkeit eher als Missbrauch von Pressefreiheit bezeichnen.“

Aber warum kommt diese Entscheidung ausgerechnet jetzt, sieben Jahre nach der Annexion der Krim und dem Beginn der militärischen Intervention der Russischen Föderation im Donbas? Dafür gibt es mehrere Gründe.

Zum einen ist die außenpolitische Situation günstig. Während der Kreml mit den Demonstrationen im eigenen Land beschäftigt war, konnte die Ukraine auf die Unterstützung der neuen amerikanischen Regierung vertrauen. Dies bestätigte sich, als die US-Botschaft in Kyjiw am 3. Februar auf Facebook postete:

„Die Vereinigten Staaten unterstützen die gestrigen Bemühungen der Ukraine, im Einklang mit dem ukrainischen Recht dem bösartigen Einfluss Russlands entgegenzuwirken, um die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu verteidigen. Wir müssen alle zusammenarbeiten, um zu verhindern, dass Desinformation als Waffe in einem Informationskrieg gegen souveräne Staaten eingesetzt wird.“

Zum anderen spielt aber auch die innenpolitische Situation eine Rolle. Anfang des Jahres schien die „Oppositionelle Plattform – Für das Leben“ von Medwedtschuk eine reale Konkurrenz für Selenskyj darzustellen. Obwohl die nächste planmäßige Parlamentswahl in der Ukraine erst Ende Oktober 2023 stattfinden soll, zeichneten die Umfragen vom Januar 2021 ein unerfreuliches Bild für den Präsidenten und seine Partei.

 

 

Sie haben gezeigt, dass die Partei OPSSch 20,7 Prozent der Wählerstimmen bekommen hätte, wenn die nächste Parlamentswahl im Januar 2021 stattgefunden hätte. Demnach würde die Partei von Medwedschuk mit den meisten Stimmen ins Parlament einziehen, während Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“ nur 11,2 Prozent bekäme und damit den dritten Platz nach der Partei „Europäische Solidarität“ des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko belegte.

Doch bereits die Umfragen vom Februar zeigten eine sinkende Unterstützung für Medwetschuk. Nun lag Poroschenkos „Europäische Solidarität“ auf Platz 1, OPSSch mit 16,8 Prozent Stimmen auf Platz zwei, und die Partei von Wolodymyr Selenskyj „Diener des Volkes“ mit 15,5 Prozent auf dem dritten Rang.

Dass es bei der Schließung von Sendern nicht nur um Medienpolitik geht, zeigt auch die Tatsache, dass drei Wochen später auch Sanktionen gegen Wiktor Medwedtschuk persönlich, gegen seine Frau Oksana Martschenko sowie sechs weitere Personen und 19 juristische Personen verhängt wurden. Diese Sanktionen gelten für drei Jahre.

Der Grund der Sanktionen sei „Terrorismusfinanzierung”, wie der Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Oleksij Danilow, mitteilte. Der Geheimdienst SBU habe Beweise, dass aus den besetzten Gebieten im Donbas Kohle nach Russland und in die Ukraine geliefert werde. Daraus würden die terroristischen Aktivitäten der sogenannten “Volksrepublik Luhansk” finanziert, heißt es.

Solche radikalen Schritte gegen einen der mächtigsten prorussischen Politiker und Oligarchen der Ukraine haben Selenskyj viele nicht zugetraut. „Es ist ein klares Signal an den Kreml,“ sagt Wilfried Jilge, Ukraine-Experte am Zentrum für internationale Friedenseinsätze. „Gut möglich, dass Selenskyj in den letzten zwei Jahren als Präsident einen Lernprozess durchgemacht und verstanden hat, dass ein Verhandlungsprozess mit Putin auch eine standhafte Position und vor allem ein Konzept braucht.“

Hinsichtlich der Frage, ob die Sanktionen gegen Medwedtschuk auch ein Signal an die anderen Oligarchen der Ukraine ist, ist Jilge skeptisch. „Wir beobachten, dass die Oligarchen auch unter Selenskyj eine zu große Rolle spielen. Rinat Achmetow z.B. hat in den letzten 1-2 Jahren wieder an Bedeutung und Einfluss auf die Politik gewonnen – auch weil Selenskyj und seine Entourage ausreichendes Verständnis für unabhängige Institutionen vermissen lassen und so diesen Einfluss begünstigen.“ Es sei daher völlig offen, so Jilge, ob diese Entscheidung Teil einer strategischen Neuausrichtung der Politik des Präsidenten ist. Vielmehr könne diese Agenda von der aktuellen politischen Situation inspiriert sein.

„Einerseits könnte Selenskyj versucht haben, durch eine härtere Linie gegenüber prorussischen Kräften der neuen Biden-Administration ein Signal des Vertrauens zu senden, um der Ukraine weiterhin die amerikanische Unterstützung zu sichern. Vor allem aber zielte die Entscheidung auf die Schwächung Wiktor Medwedtschuks,“ fasst Jilge zusammen. Denn seine Partei OPSSch konnte bei den Lokalwahlen ihre Position als starke Kraft in der Ostukraine konsolidieren.

„Den Abfluss an Wählerstimmen zugunsten Medwedtschuks müssen Selenskyj und seine Partei aber an anderer Stelle kompensieren, z.B. durch Abwerben von Wähler*innen der Parteien "Holos" und insbesondere der „Europäischen Solidarität“ von Poroschenko. Dies wird aber nur mit einer konsequenteren Reformpolitik und einer strategisch ausgerichteten Außenpolitik möglich sein. Bleiben die Sanktionen Symbolpolitik, um kurzfristig Umfragewerte zu verbessern, könnte es für Selenskyj und auch für die Ukraine problematisch werden. Denn Sanktionen alleine werden auch nicht helfen, der Tendenz entgegenzuwirken, dass eine prorussische Kraft wieder an größerer Popularität gewinnen kann,“ so Jilge.

Was die Lizenzen von 112, NewsOne und ZIK betrifft, ist mit Klagen zu rechnen. Mykhailo Zhernakov, Direktor von DEJURE, einer Organisation zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine, weist darauf hin, dass der Beschluss des Nationalen Sicherheitsrates offensichtlich sehr schnell vorbereitet wurde, sodass er sogar Tippfehler aufweist. „Solche Kleinigkeiten können eine Rolle spielen, wenn die Entscheidung vor Gericht landet. Leider wurde die ukrainische Justiz-Reform immer noch nicht vollzogen. Im schlimmsten Fall haben wir dann am Ende mit Richter*innen zu tun, die politische Entscheidungen zugunsten von Oligarchen treffen,“ so Zhernakov.

Oleksandr Sushko, Direktor von IRF, hält es für wahrscheinlich, dass Wiktor Medwedtschuk nicht nur auf dem juristischen Weg, sondern auch durch Druck aus Russland versuchen wird, auf die Aufhebung der Sanktionen hinzuwirken. „Die Schließung der Sender ist wohl die wichtigste politische Entscheidung von Präsident Selenskyj in seiner gesamten Karriere, die sich 2021 entscheidend auf die politische Landschaft des Landes auswirken wird. Die Risiken einer solchen Entscheidung sind jedoch erheblich, weshalb eine qualitativ hochwertige Kommunikation seitens der Regierung höchste Priorität hat. Denn die Unterschätzung eines systemischen Rivalen, der bereits alle Tools zum Schutz seines Hauptvermögens hochfährt, kann zu negativen Ergebnissen führen,“ so Sushko.

Tetiana Pechonchyk von ZMINA kritisiert die Art und Weise, wie die Fernsehsender sanktioniert wurden: „Die Schließung der Sender war zwar ein schneller Weg, aber auch einer, der in einem Staat mit nicht reformierten Geheimdiensten durchaus riskant ist.“ So können eines Tages auch andere Sender nach dem gleichen Prinzip gesperrt werden, befürchtet Pechonchyk.

„Um die Meinungsfreiheit in der Ukraine im Kontext der russischen Aggression tatsächlich zu schützen, sollte man die Kompetenz und Unabhängigkeit des Nationalen Rates für Fernsehen und Rundfunk stärken, die Effizienz der journalistischen Mechanismen der Selbstregulierung wie die der Kommission für journalistische Ethik steigern und das Strafverfolgungs- und Justizsystem reformieren“, fasst Pechonchyk zusammen. Im Kampf gegen die Desinformation und Propaganda – und hier sind sich praktisch alle Ukraine-Expert*innen einig – braucht das Land Reformen und starke Institutionen. Einzelne Sperrungen von Fernsehsendern würden dagegen wenig Erfolg bringen, denn es können immer neue Plattformen für die Verbreitung der Propaganda gefunden werden, egal ob im Fernsehen oder im Internet.

 

Weiterführende Informationen zu diesem Thema finden Sie hier:

Eine gemeinsame Erklärung der ukrainischen Fact-Checking-Organisationen bezüglich der Sanktionen gegen ZIK, 112 und NewsOne (Auf Englisch).

Analysen der anti-westlichen Narrative in den ukrainischen Medien (Auf Englisch):

Who Pursues the “External Governance” Narrative in Ukraine And Why They Do It (USMC)

Ukraine sanctions TV channels of Putin’s top-tier ally in Ukraine. Here is what they broadcasted (Euromaidanpress)

Hacked Pluralism: How Ukrainian TV Channels Were Used to Spread Russian Propaganda Messages (UkraineWorld)

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